2023-06-16 | Neues zur Netzuhr
Neues zur Netzuhr
Kurzfassung: Wer als Nutzer des legendären LED-Weckers [1] ein immer dunkler werdendes Display bemerkt, sollte den Vorschaltkondensator C2 als Fehlerquelle in Betracht ziehen.
Details: Die Leuchtanzeige von meinem Exemplar des Weckers (Prototyp von 2007!) war in den letzten Monaten immer dunkler geworden. Zunächst hatte ich die Stützbatterie (NiMH 3,6 V) im Verdacht, dass die nach all den Jahren niederohmig geworden sei und den Stromkreis zu stark belastet hätte. Dem war aber nicht so. Batterie abgeklemmt und... Display immer noch ziemlich dunkel. Versorgte ich die Uhrenelektronik mit einem externen Netzteil, stimmte die Helligkeit und der Ladestrom. Also keine übermäßige LED-Alterung, das war die gute Nachricht. Doch am Kondensatornetzteil sackte die Ausgangsspannung auf 3 Volt ab, wurde also schon gar nicht mehr stabilisiert. Nach Ausschluss anderer Fehlerquellen brachte eine Messung die schreckliche Gewissheit: Der Vorschaltkondensator C2 hatte deutlich an Kapazität verloren und konnte als kapazitiver Vorwiderstand keinen ausreichenden Strom mehr liefern!

Dieser wunderschöne X2-Kondensator hatte seine Kapazität still und heimlich um die Hälfte reduziert...
So 'ne Schweinerei. Nach nur 16 Jahren Dauerbetrieb am Netz!
Wobei anzumerken ist, dass der ATtiny2313 bei niedrig eingestelltem Brown-Out-Level noch eine ganze Weile zuverlässig weitergelaufen wäre. Die Uhr ging bisher recht genau.
Der elektrotechnische Grund für den Spannungsabfall war also nun bekannt, doch was hatte den krassen Kapazitätsabbau eigentlich verursacht? Man sollte meinen, dass Folienkondensatoren chemisch und physikalisch zu den langzeitstabilen Bauelementen gehören. Sind schließlich keine Elkos... Mir ist natürlich bekannt, dass auch X2-Kondensatoren in einem Sinne „altern“, nämlich dass mit jedem Überspannungsereignis ein bisschen Kapazität verloren geht. Wo der Durchschlag stattgefunden hat, wird eine gewisse Fläche vom metallischen Belag verdampft, und dieses „Ausheilen“ verhindert, dass an derselben Stelle ein Lichtbogen, ein Kurzschluss oder gar ein Brand entsteht. Feine Sache. Wohl deshalb heißen die Dinger auch „Sicherheitskondensatoren“. Wenn sich aber die Kapazität eines X2-Kondensators allein infolge von Ausheilungsereignissen fast halbiert hat, dann müsste die Hälfte der Metallisierung futsch sein. Dafür hätten doch eine ganze Menge Überspannungsspitzen auf das Bauteil einhämmern müssen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das in der Netzuhr-Anwendung der Fall war, zumal es in den letzten Jahren keinen einzigen unerklärlichen Controller-Reset oder gar eine Serie davon gegeben hatte. Mein LED-Wecker hängt die meiste Zeit zusammen mit meinem HiFi-Kram hinter einem dicken Netz- und Überspannungsfilter. Zusätzlich gibt es in der Uhrenschaltung noch den kleineren X2-Kondensator (C1 = 0,1 µF) parallel zum Netz. Der soll einen Teil etwaiger Impulsenergie absorbieren oder zumindest entschärfen. Ich habe zahlreiche Rückmeldungen von Nachbauern des LED-Weckers erhalten, wo das Gerät jahrelang an einer völlig ungefilterten Steckdose gelaufen ist. Aber auch Fälle, wo ein an dieselbe Phase angeschlossener Staubsauger regelmäßig den Controller zum Absturz brachte, aber keine bleibenden Schäden hervorrief.
Unser Wissen über X2-Kondensatoren ist offensichtlich lückenhaft. In aktuellen Publikationen werden Temperaturschwankungen, hohe Luftfeuchte oder chemische Wechselwirkungen als mögliche Co-Faktoren für so einen Kapazitätsverlust genannt. Im Zusammenspiel mit einem schmutzigen Netz voller Spikes können sie anscheinend dazu führen, dass die Metallbeläge eines X2-Kondensators auch mal deutlich schneller wegbrutzeln, als zu erwarten war... Faszinierend!
Wie auch immer, ich habe da jetzt mal ein „dickeres“ Exemplar mit Nennwert eingebaut.
Und siehe da: Wecker läuft wie am ersten Tag!
Hat da draußen jemand ähnliche Erfahrungen mit platten X2-Kondensatoren gemacht? Ich freue mich über jeden Hinweis, welchen Herstellern man in dieser Angelegenheit noch trauen kann...!
- netzuhr.htm Energieeffizienter Uhrenwecker mit Leuchtanzeige:
- https://www.bajog.de/images/Downloads/X2_Zerstoerung_230913.pdf Bajog-Electronic GmbH „Verstärkter Ausfall von X2 und Y2 – Kondensatoren“: (Keine Produktempfehlung!)
- https://eprints.soton.ac.uk/378054/1/0538-000174.pdf Theorie „Elektrochemische Korrosion“:
- https://www.tdk-electronics.tdk.com/de/192854/tech-library/artikel/products-technologies/article-products-technologies/feuchtigkeitsresistente-x2-kondensatoren/1256190 Bauteilalternativen? (Keine Produktempfehlung!)